
Christian Bernard
Über Michel Würthle
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Es gibt verschiedene Arten von Künstlern: solche, die Regeln erstellen, und andere, die sie anwenden, solche, die nichts finden und andere, die erfinden, solche, die glänzen, und solche, die nur glimmen, andere, die lange aushalten und solche, die ihre Zeit prägen. Es gibt Künstler, die schnell oben sind, und andere, die erst mit dem Alter hoch kommen. Einige drehen kurz eine kleine Runde und treten dann ab, aus gutem Grund oder schlechtem oder beidem zusammen.
Es gibt die Frühstarter und die Spätstarter, und es gibt schließlich alle anderen auch noch.
Michel Würthle gehört zu der kleinen Gruppe der Künstler des démon de midi.
In den Untiefen der Lebensmitte angekommen, bietet ihm das Zeichnen, wie er selber sagt, in Form »eines einsamen und schmerzvollen Werks der Sublimation« einen eleganten Ausweg aus den Risiken eines zu erwartenden sexuellen Scheiterns. Die züchtige Fabel vom Rückzug der Weisheit baut auf Ironie und schwarzen Humor, die zwei unausweichlichen Ausprägungen seiner Gefühlswelt. So setzt er sich diskret in Szene, diesmal auf der anderen Bühne, der der Wünsche. Ihm öffnet das Zeichnen als einschneidende Erfahrung das anhaltende Theater der Phantasmen. Michel Würthle könnte auch den Horden- oder Bandenkünstlern zugezählt werden: Er gehört zu jener von Martin Kippenberger, d. h. zur Berliner Sektion dieser gefährlichen Gang. Als solcher setzt er die Reihe der »Schlechtmacher« der modernen Kunst fort, der rohen und zugleich zärtlichen Chronisten der angefaulten Fassaden der Metropolen.
In der Nachfolge von Max Beckmann, Otto Dix oder George Grosz zeichnet Michel Würthle mit seinem Skalpell am Tagebuch unserer schlaflosen Nächte weiter.